Vortragsreihe: vom Belehrfernsehen zum Erzählfernsehen
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Sonntag, 25. Juni 2006
Onlinejournalismus
„Das gibt’s ja heute gar nicht mehr.“ Am 7. Juni flimmerte nach sieben Jahren die Sendung „Abenteuer Erde“ im Hessischen Rundfunk das letzte Mal über die Fernseher. In der Vortragsreihe „Berufsfeld Wissenschaft“ blickte ihr Moderator Richard Brunnengräber am 21. Juni auf über 20 Jahre Arbeit beim Hessischen Rundfunk zurück. In dieser Zeit hat sich viel verändert. Irene Berres berichtet.
Brunnengräber moderierte 1990 seine erste wissenschaftsjournalistische Fernsehsendung „Berichte aus Wissenschaft und Forschung“. Aus ihr entstand 1999 „Abenteuer Erde“. Durch die Umstellung verdoppelte sich der Marktanteil auf fünf bis sechs Prozent. Im Schnitt schauten 250.000 Zuschauer mittwochabends eine halbe Stunde Abenteuer von der Erde.
Doch nicht nur der Titel und die Studiodekoration änderten sich 1999: Die Filme wurden anders gestrickt. „Man geht heute zum Erzählfernsehen über“, sagte Brunnengräber.
Beim traditionellen „Belehrfernsehen“ wurde mit dem Zeigefinger gedroht: „Jetzt passt bloß auf!“ Die damals noch Wissenschaftssendungen berichteten aus den Laboren. Sie zeigten Schritt für Schritt, wie der Wissenschaftler eine Pipette nimmt und Reagenzien untersucht. Bei den heutigen Wissenssendungen muss eine Geschichte erzählt und weniger Inhalt transportiert werden. „Die ganz harten Fakten bis ins Detail interessieren keinen“, sagt Brunnengräber.
Geschichten erzählen mit ‚Boah Ey-Effekt‘
„Abenteuer Erde“ sollte einfach neugierig machen. „Wir wollen Geschichten über die Naturwissenschaften erzählen, die nicht belehrend sind, sondern einen ‚Boah Ey-Effekt‘ hervorrufen: Boah Ey, dass es so was gibt!“ Dabei weiß Brunnengräber genau, dass bei seinem durchschnittlich 60-jährigen Stammpublikum mit meistens Hauptschulabschluss nur ein Gesamteindruck hängen bleibt. „Fernsehen macht Appetit auf verschiedene Wissensgebiete. Um das zu vertiefen, muss ich lesen.“
So ist auch „Abenteuer Erde“ mit dem Trend gegangen: Die Konsumenten wollen nur noch Häppchen serviert bekommen. Von anfangs 15 Minuten langen Beiträgen sind höchstens sechs bis sieben Minuten geblieben.
Die Quote
Und die Entwicklung geht weiter. Brunnengräber geht in Ruhestand und ab dem 28. August 2006 nimmt ein neues Format den Platz von „Abenteuer Erde“ ein: Noch mehr Wissen und noch weniger Wissenschaft. Noch mehr erzählen und unterhalten.
Dabei haben die öffentlich-rechtlichen Sender den Auftrag Kultur, Wissenschaft und Religion zu vermitteln. Sie „müssen den Privaten nicht hinterher hecheln“, meint Brunnengräber. Dennoch tun sie es, denn auch bei ihnen werden Sendungen an den Quoten gemessen. So bestimmen die Zuschauer das Programm. Eine Entwicklung, deren Ende auch der erfahrene Brunnengräber nicht kennt: „Wo das hinführt, weiß ich nicht.“
Irene Berres