Verlage vs. ARD: Die Alles-oder-Nichts-Frage
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Sonntag, 25. Juli 2010
Onlinejournalismus
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien am vergangenen Mittwoch unter dem Titel „Bestellte Wahrheiten“ ein Kommentar des Medienjournalisten Michael Hanfeld. Darin kritisierte er ein von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu den Online-Aktivitäten der ARD sowie die dazugehörige Pressemitteilung und sprach unter anderem von der „Herrschaft des Staatsjournalismus“ und dem „Ende der freien Presse“, das drohe, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Präsenz im Internet nicht endlich zurückfahren würden.
An sich wäre Hanfelds Artikel nicht weiter bemerkenswert, spiegelt er doch lediglich den in Deutschland schon länger tobenden Streit zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wider. Aber weil der Kommentar auf der Titelseite einer der renommiertesten deutschen Tageszeitungen erschien und Hanfelds Angriffe in ihrer ganzen Schärfe beispielhaft für die Lobbyarbeit der Verlage sind, ließen die Reaktionen natürlich nicht lange auf sich warten.
Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust sah sich gezwungen, mit einem offenen Brief an Hanfelds Chef, den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, zu antworten. Darin brandmarkte er den Kommentar Hanfelds als „völlig unverhältnismäßig und einer seriösen Zeitung unwürdig”.
Und auch im Netz waren die Reaktionen auf den FAZ-Artikel überwiegend negativ. So kritisierte der Journalist und Blogger Christian Jakubetz in seinem Blog, dass die Welt Michael Hanfelds nur aus schwarz und weiß bestehe und stellte richtigerweise fest, dass der unabhängige Journalismus in Deutschland durch öffentlich-rechtliche Angebote wie tagesschau.de oder heute.de keineswegs in seinen Grundfesten bedroht werde.
Interessanterweise wies Jakubetz außerdem auf das britische Pendant von ARD und ZDF, die BBC, hin und stellte fest, dass eine Diskussion darüber, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet darf und was nicht, in Großbritannien überhaupt kein Thema sei. Das stimmt zwar so nicht ganz, denn auch die BBC sieht sich hin und wieder Attacken aus Verlegerkreisen ausgesetzt. Dennoch ist die Kritik an den Online-Aktivitäten der BBC (auch seit dem neuesten Relaunch) im Vergleich zum beständigen Heulen der Verleger in Deutschland eher gering.
Wie erfolgreich die deutschen Verlage mit ihrer andauernden Lobbyarbeit inzwischen sind, lässt sich auch an einem weiteren Beispiel gut nachvollziehen. Im Weblog der Tagesschau erschien vor kurzem ein Beitrag von tagesschau.de-Redaktionsleiter Jörg Sadrozinski. Darin beschäftigt er sich mit dem so genannten „Depublizieren“, das heißt dem Löschen von bereits online gestellten Inhalten nach einer gewissen Zeitspanne. Mit einer Vokabel also, die in naher Zukunft in den Online-Redaktionen von ARD und ZDF leider zum Alltag gehören wird.
Denn seit der Zwölfte Rundfunkstaatsvertrag (RStV) im letzten Jahr in Kraft trat, steht fest, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ab dem 1. September 2010 einen Großteil der Inhalte auf ihren Websites nach sieben Tagen löschen müssen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Per Gesetz werden von den Bürgern eigentlich bereits bezahlte und sowieso erstellte Inhalte nach einer kurzen Gnadenfrist einfach wieder gelöscht. Ganz so, als habe es sie nie gegeben. Das verursacht nicht nur neue Kosten, sondern steht auch in diametralem Widerspruch zum Idealbild vom Internet als immer weiter wachsendem und unbegrenztem Wissensspeicher. Ein beispielloser Vorgang, findet nicht nur Stefan Niggemeier in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Die Rechnung hinter den Anstrengungen der Verleger, ARD und ZDF online auf ein Mindestmaß zurechtzustutzen, ist leicht zu durchschauen und schnell erklärt: Nur, wenn im Internet möglichst wenig Qualitätsinhalte kostenlos zur Verfügung stehen, können die eigenen Paid-Content-Angebote überhaupt funktionieren. Niemand würde für einen Artikel zur Gesundheitsreform auf der Website des Hamburger Abendblatts zahlen, wenn es nur einen Klick weiter, zum Beispiel bei tagesschau.de, einen qualitativ ähnlichen oder gar überlegenen Beitrag geben würde.
Kai Biermann ging darum im Zuge der Diskussion um die iPhone-App der Tagesschau in der Online-Ausgabe der Zeit schon vor einigen Monaten so weit, davon zu sprechen, dass Mathias Döpfner, der Chef des Springer-Konzerns, stellvertretend für eine ganze Branche den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am liebsten komplett abschaffen würde. Ganz falsch hat er damit offenbar nicht gelegen, denn wie es im Moment aussieht, sind die Verlage auf einem guten Weg.
Martin Hoffmann ist Absolvent des Studiengangs Online-Journalismus im Jahr 2010. Er lebt und arbeitet in Leipzig.