Nichts für Gockel: die Deutsche Presse-Agentur
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Donnerstag, 4. Mai 2006
Onlinejournalismus
Täglich 3000 Meldungen, 800 Mitarbeiter, 60 Büros in Deutschland. 95 Prozent der tagesaktuellen Medien hängen an ihrem Nachrichtentropf: Die Deutsche Presse-Agentur, kurz dpa. In der Vortragsreihe „Berufsfeld Wissenschaftsjournalismus“ referierte dpa-Wissenschaftsredakteurin Simone Humml über die Grundsätze des Nachrichtenjournalismus – und über das gute Klima in der Redaktion, in der keine Gockel sich nach vorne drängen, wie in so vielen anderen Redaktionen. Christian Meier berichtet.
150 e-mails und Faxe landen täglich auf den Schreibtischen der Wissenschaftsredakteure Simone Humml und Till Mundzeck. Daraus machen sie oder die damit beauftragten regionalen dpa-Büros etwa sechs bis zwölf Meldungen für den Basisdienst der dpa. Dazu kommen vier bis zehn Meldungen pro Tag aus den Landesdiensten und den Auslandsbüros. Sie filtern nach den üblichen Nachrichtenkriterien, doch für Simone Humml kommt noch ein weiteres hinzu: „Kann ich es abends in der Kneipe erzählen?“ fragt sich die Diplom-Biologin oft, wenn sie Wissenschaft an den Leser bringen will.
Sensationen und Bodenständiges
Der Leser überrascht die Journalistin, die bei der dpa volontierte und seit zehn Jahren dort Nachrichten macht, immer wieder. „Sensationen im All“ seien Top-Themen, und das obwohl Astronomie keinerlei Auswirkungen auf den Alltag der Menschen hätte. Ansonsten verkauft sich Bodenständiges: „Böse e-mails vom Chef machen krank“ oder „Zur Paarungszeit sind Kröten völlig durch den Wind“. Manchmal klopfen Politik-Redakteure bei den Wissenschaftsjournalisten an: Als sich Matthias Platzeck vom SPD-Vorsitz verabschiedete, bestellten sie eine Hintergrundgeschichte zum Thema Hörsturz. Für solche und viele andere Fälle stehen zwei dicke Expertenordner im Regal, die verraten wer kompetent ist und „Leserdeutsch“ kann.
Was gefällt Simone Humml besonders an der Arbeit bei einer Nachrichtenagentur? Man genieße eine „unglaubliche Freiheit“, da man sich nach keiner Zeitung und keinem Werbekunden richten müsse. Der Chefredakteur habe sie noch nie gebeten, pro oder contra irgendetwas zu berichten. Die Journalisten haben sogar die Freiheit, auch mal bewusst am Markt vorbei zu schreiben: „Über AIDS in Afrika berichten wir mehr als gedruckt wird, weil wir das für wichtig halten.“
Der Preis der Freiheit ist die Anonymität. Selbst wenn eine Meldung mit dem Namen des dpa-Autors versehen ist, kann die Zeitung diesen durch „dpa“ ersetzen. Simone Humml stört das nicht, im Gegenteil: „Ich fühle mich bei der dpa wohl, weil dort nur Leute sind, die nicht vor die Kamera wollen.“ Bei Fernseh-Praktika habe sie viele „Gockel“ erlebt, die unter Einsatz ihrer Ellbogen vor die Kamera drängten. Ihr gehe es darum, die Wirklichkeit selbst zu erfassen und sie „so naturgetreu“ wie möglich wiederzugeben. Ihre Arbeit sei eine „studium generale lebenslang“. Jeden Tag bekomme man die weltweiten wissenschaftlichen Ergebnisse frisch auf den Tisch. „Es ist klasse, Wissenschaftsjournalist zu sein“.
Christian Meier