Journalismus statt „Staunen-TV“
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Dienstag, 29. Mai 2007
Onlinejournalismus
Was sind Nachrichtenwerte? Welche Kriterien muss ein Thema haben, um bei „nano“ auf Sendung gehen zu können? Haben Online- und Wissenschaftsjournalisten eine Chance bei 3sat? Johannes Steinbronn, Schlussredakteur der „nano“-Redaktion, stand anlässlich der Vortragsreihe „Wissenschaftsjournalismus“ an der Hochschule Darmstadt Frage und Antwort. Steinbronn sprach über das Thema „Wer die Wahl hat, hat die Qual – Nachrichtenwerte im Wissenschaftsjournalismus“. Stefanie Preisser und Chedia Miled berichten.
Der Hürdenlauf: Nachrichtenwerte für nano
Johannes Steinbronn hat als Schlussredakteur der täglich ausgestrahlten Wissenschaftssendung „nano“ die Qual der Wahl. Tag für Tag kommen seine Autoren mit neuen Ideen zu ihm und versuchen Steinbronn ihre Themen schmackhaft zu machen. Der Parcours besteht aus acht Hürden: den Nachrichtenkriterien.
„Neuigkeit“
Wo steckt die Neuigkeit? Diese Frage steht ganz oben und ist im Wissenschaftsjournalismus oft nicht immer einfach zu beantworten. Häufig bedarf es einer genauen Recherche bis hin zur Erstveröffentlichung des Forschungsergebnisses. Steinbronn empfiehlt statt eines „Google-Journalismus“ den schnellen Griff zum Telefon. „Wissenschaftler freuen sich, wenn sie über ihre Arbeit und ihr Fachgebiet erzählen dürfen!“ Informieren ist also das A und O, vor allem um Eindrücke von verschiedenen Standpunkten zu erhalten. Nur so gelingt dem Redakteur die richtige Themeneinordnung! Um zu einem aktuellen Anlass schon einen fertigen Bericht im Kasten zu haben ist es laut Steinbronn wichtig vorauszuschauen. Pressekonferenzen, Ankündigungen über bevorstehende Berichte der Bundesregierung oder Vorabveröffentlichungen aus „Nature“ oder „Science“ sind nur einige Möglichkeiten, um immer auf dem aktuellsten Stand zu bleiben.
„Nähe“
Ist das Thema aktuell und hat einen Aufhänger, so darf die Nähe zum Zuschauer nicht fehlen. „Nähe ist bei vielen Wissenschaftsthemen per se nicht gegeben. Sie muss geschaffen werden!“, so Johannes Steinbronn. So rät er beispielsweise bei einer erklärenden Darstellung viel mehr zu lebenden Tieren als zu Modellorganismen. Kann sich der Zuschauer mit dem Thema identifizieren und sieht eine Verbindung zu sich selbst, so wird er mit großer Wahrscheinlichkeit weiter schauen. Dies zeigte Steinbronn am Beispiel Kraftwerksbau: Wenn Menschen demnächst ein neues oder erweitertes Kohlekraftwerk vor der Haustür stehen haben werden, dann sind sie für das Thema „Kohlestrategie der Bundesregierung“ viel leichter zu interessieren.
„Fortschritt“
Ob die wissenschaftliche Erkenntnis nun wirklich einen Fortschritt darstellt, ist ein weiterer entscheidender Punkt auf dem Weg zur Sendung. Steinbronn nennt als Beispiel die zahlreichen Pressemitteilungen über angebliche Fortschritte, die ins seiner Redaktion eintrudeln, die aber bei näherem Hinsehen schon längst alte Hüte sind. Um dies herauszufinden, muss der Journalist die vermeintliche Neuigkeit genau prüfen.
Ist die Nachricht wirklich neu, stellt sich beim Thema Fortschritt immer noch die Frage, wer hinter den Ergebnissen steckt. Wer stand wirklich selbst im Labor? Wie finanziert sich das Projekt? Spielen staatliche oder private Drittmittel eine Rolle? Um auch hier nicht irrtümlich in die falsche Richtung zu rennen, rät der Schlussredakteur von „nano“ auch hier wieder zu einer gründlichen Vorabrecherche. Steinbronn nennt als Beispiel die Entwicklung eines neuen Krebsmedikaments, hinter der die Tabaklobby steckt und als großzügiger Sponsor fungiert. Gleichzeitig versuche sie sich damit medial ins rechte Licht zu rücken.
„Kontinuität“
Berichtet ein Autor von einer neuen Methode, wie CO2
eingelagert werden kann, so wird Steinbronn wahrscheinlich die Ohren spitzen. Warum? Das Thema beinhaltet zum einen eine Neuigkeit und zum anderen beweist es Kontinuität in den Medien. Der Klimawandel wird immer wieder neu aufgegriffen und gehört momentan einfach zu den „Dauerbrennern“. Jedoch wird laut Steinbronn beim Thema CO2
und Klimaproblematik viel zu sehr in eine Richtung berichtet. Laut dem studierten Physiker haben wir noch zu wenig verstanden, wie das globale Gesamtsystem wirklich mit CO2
umgeht und welche Rolle der Kohlendioxidausstoß des Menschen darin spielt. Derzeit sei der Klimawandel aber ein sehr starkes gesellschaftliches Paradigma, dem sich der Wissenschaftsjournalist nicht so leicht entziehen könne.
„Negativität„
Ein weitere Nachrichtenwert ist die Negativität. Je „negativer“ ein Ereignis , je mehr Konflikte, Aggressionen, Zerstörungen und Tote, desto stärker beachten es die Medien. Negativität verursacht Nachdenklichkeit und Emotionen. Sie fesselt den Zuschauer ganz automatisch.
„Konflikte“
Neben Aktualität, Nähe, Kontinuität und Co. gehören auch Konflikte zu den Nachrichtenwerten eines Beitrags. Beispielsweise sorgen neue, umstrittene Therapien für Unruhe. Warum ist eine Heilmethode umstritten? Welche Folgen kann sie für die Patienten haben? Waren Nebenwirkungen bereits vor der Zulassung des Medikaments bekannt, wurden sie möglicherweise sogar unterschlagen? Konflikte bieten also jede Menge interessantes Sendematerial.
„Gefühl“ und „Dramatik“
Trockene Forschungstheorien können oftmals einschläfernd sein. Um dies zu verhindern und die graue Theorie aufzulockern, kann man dem Beitrag ein Gesicht verleihen. Stelle man einen jungen, sympathischen Forscher in den Mittelpunkt des Berichts und lasse ihn erzählen, verleihe das Portrait dem öden Fachchinesisch Pfiff, so Steinbronn. Die Redaktion versucht durch Gesichter auch so etwas wie Prominenz zu schaffen und „vermenschlicht die Wissenschaft“. Gefühle und Dramatik können also auch in einem wissenschaftlichen Fernsehbeitrag als Stilmittel eingesetzt werden.
„Kuriosität“ und – na klar, „Sex“
Zum Schluss darf auch die Unterhaltung nicht fehlen. Kuriosität und nicht zuletzt das Thema Sexualität sorgen für eine hohe Aufmerksamkeit und geben Anlass für Kommentare und Glossen. „nano“- Schlussredakteur Steinbronn nennt als Beispiel fürs Kuriose die Meldung: „Schwanzwedeln des Hundes lässt auf Gefühle schließen“.
Das Ziel
Erfüllt das Thema einige dieser Kriterien, so heißt es im Büro von Johannes Steinbronn: „Deine Idee geht auf Sendung!“ Und zuhause vor den Bildschirmen, pünktlich um 18:30 Uhr auf 3sat: „Herzlich Willkommen zu „nano“, das Magazin, das Wissen schafft!“
Übrigens: Als Praktikanten sind bei nano sowohl Online- als auch die Wissenschaftsjournalisten willkommen.