Ein unmoralisches Angebot?
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Donnerstag, 17. Mai 2007
Onlinejournalismus
Unabhängiger Journalist oder eine Marionette der PR – auch für Wissenschaftsjournalisten ist es nicht immer einfach, den Verlockungen der PR-Profis zu widerstehen. „Von PR bis Peer Review – wie können Wissenschaftsjournalisten ihre Unabhängigkeit bewahren?“ fragte auch Volker Stollorz, langjähriger Pauschalist für die Wissenschaftsseiten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in seinem Vortrag an der Hochschule Darmstadt.
Es berichten Anne Kreßler und Katharina Schön.
Stollorz präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage, die er 2004 zusammen mit dem Medizinjournalisten Klaus Koch für die Wissenschafts-Pressekonferenz e. V. (WPK) durchgeführt hat. Dafür hatten sie knapp 100 Mitglieder WPK nach ihrer Einstellung zu Grenzfällen in Sachen PR und Journalismus befragt.
Zunächst sollten die Teilnehmer ihr ungefähres jährliches Einkommen angeben, zudem die Anzahl ihrer Kongress- und Recherchereisen, wie viele davon gesponsert oder selbst finanziert waren und außerdem, ob sie schon einmal das Gefühl hatten, die Grenze zwischen Journalismus und PR zu überschreiten. Dies erhoben Stollorz und Koch mit Hilfe von Fallbeispielen, die typische Situationen zeigen, in die Journalisten geraten können: Muss ich auf Recherchereisen verzichten, wenn meine Redaktion die Kosten dafür nicht übernimmt? Oder darf ich Einladungen von Firmen für einen Kongress etwa in Australien annehmen? Und wenn ich die Einladung annehme, kann ich dann noch objektiv berichten?
Volker Stollorz berichtete von zahlreichen Grenzfällen, mit denen er selbst zu kämpfen hatte. Er ist der Meinung, dass in jeder Situation von neuem abgewogen werden müsste, allerdings: „Wichtig ist Transparenz, das heißt, ein freier Journalist sollte seine Redaktion über mögliche Interessenskonflikte informieren.“ Aufgabe des Wissenschaftsjournalisten sei es, seine Unabhängigkeit zu bewahren, viele Quellen zu nutzen und für Qualität in der Recherche zu sorgen. Nur so schaffe er beim Leser Vertrauen. Im Zweifel plädiere Stollorz daher dafür, in die Artikel hineinzuschreiben, dass die Recherchen im Rahmen einen gesponsorten Reise zustande gekommen sind.
Durch die Umfrage sei deutlich geworden, dass die Verunsicherung unter den journalistischen Kollegen zu diesem Thema sehr groß ist, denn es ist nicht klar definiert, was man darf beziehungsweise lieber lassen sollte. So definiere der Presserat etwa nur das angemessene Verhalten von Verlegern und Redakteuren; wie freie Journalisten mit PR umzugehen haben, sei nicht festgehalten worden.
Das zweite Teil des Vortrags befasste sich mit dem Thema: „Wann kann ein Wissenschaftsjournalist als Peer Reviewer der Wissenschaft im Auftrag der Öffentlichkeit dienen?“ Eigentlich sollten Wissenschaftler unter sich per „Peer Review“ garantieren, dass in Fachveröffentlichungen wissenschaftlich abgesichertes Wissen stehe. Deswegen werden eingereichte Manuskripte bei Fachmagazinen vor Veröffentlichung von Kollegen („peers“) geprüft („review“). Allerdings ist dieses System nicht ohne Makel: Auch bei renommierten Magazinen fallen Fehler oder sogar Betrugsfälle nicht immer auf.
Hierzu verwies Stollorz auf einen Irrtum des renommierten Wissenschafts- und Forschungsmagazin Nature, den er selbst entdeckte. Nature veröffentlichte einen Artikel über einen angeblichen riesigen Fortschritt in der Stammzellenforschung, der behauptete, dass embryonale Stammzellen entnommen werden könnten, ohne dass der Embryo dabei sterben müsse. Stollorz untersuchte die Daten genauer und hielt diese These nicht für gerechtfertigt: Es fehle seiner Ansicht nach noch ein Schritt in der Beweiskette. Nature entschuldigte sich für die Veröffentlichung, nahm sie allerdings nicht zurück. Seitdem, so Stollorz, habe er nicht mehr den Eindruck, sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen voll verlassen zu können.
Um im Zweifel einmal selbst nachprüfen zu können, ob alles seine Richtigkeit habe, sollten Wissenschaftsjournalisten auch manchmal ungezielte Recherchen in Laboren vornehmen, um sich Hintergrundwissen anzueignen. So könne man „relevante Themen auswählen, wichtige Fakten darstellen und eine korrekte Bewertung vornehmen“, das erzeuge auch Glaubwürdigkeit beim Leser.
Abschließend wies er darauf hin, dass Wissenschaftsjournalisten dem Publikum zwar erklären sollten, was in der Wissenschaft passiert, aber trotzdem vermeiden sollten, nur aus der Sicht der Wissenschaftler zu berichten. Sie sollten sich vielmehr „wie Auslandskorrespondenten in fremden Ländern verhalten. Auch diese erzählen Geschichten für Menschen der Kultur, aus der sie stammen – und nicht für die Kultur, über die sie berichten.“ Das bedeutet: Sie sollten sich nicht mit dem Wissenschaftler identifizieren, sondern eher die Perspektive der Leser einnehmen.
Volker Stollorz arbeitete als freier Journalist für den WDR und Die Zeit und liefert seit 2001 als Pauschalist regelmäßige Beiträge für den Wissenschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Der Dreiundvierzigjährige bekam für seine Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalisten. Zurzeit hat sich der gebürtige Leverkusener bei der FAS eine Auszeit genommen und unterstützt als Berater in Köln ein Krebsforschungszentrum im Aufbau. „Ein Seitenwechsel“, sagt er – wobei er auf die strikte Trennung der Bereiche achten will.
Der nächste Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe „Wissenschaftsjournalismus“ findet am 31. Mai statt (Hochschule Darmstadt, Campus Dieburg, Raum 16/125, 16 Uhr s.t.). Meike Siekermann vom Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung wird einen Überblick über die Forschungslandschaft in Deutschland geben sowie Trends und Perspektiven aufzeigen.