Chefredakteur von „Galileo“ an der Hochschule Darmstadt: „Wissen muss Spaß machen.“
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Donnerstag, 6. April 2006
Onlinejournalismus
Mit einem spannenden und heiß diskutierten Vortrag hat die Reihe „Berufsfeld Wissenschaftsjournalismus“ an der Hochschule Darmstadt begonnen: Christoph Steinkamp, Ressortleiter Wissen in der Chefredaktion von Pro Sieben, stellte gestern provokante Thesen zur Diskussion. Zum Beispiel: „Wissenschaftsjournalismus kann es im Fernsehen nicht geben.“ Christina Merkel berichtet über den Vortrag, Josephina Maier kommentiert.
„Emotion is the key“
von Christina Merkel
„Wissen muss Spaß machen, damit es gesehen wird.“ – Ganz nach diesem Motto funktioniert Galileo, das Wissensmagazin von Pro Sieben. Doch Wissen ist nicht gleich Wissenschaft und Labore bringen keine Quote, meint Christoph Steinkamp: „Wissenschaftsjournalismus kann es im Fernsehen nicht geben.“
Wissenschaft finde in verstaubten Laboren statt, Wissen hingegen orientiere sich am Menschen, so Steinkamps These. Weg vom moralischen Zeigefinger, hin zum journalistischen Vermittler, lautet sein Rezept, wie mit Fernsehen „Volksbildung“ betrieben werden kann. Um diese kümmern sich bei Galileo 35 Redakteure – darunter zwei Ärzte, ein Biologe und ein Geologe, drei Volontäre und mitunter zwei Praktikanten. Sie erörtern täglich Fragen wie „Wie kommt der Thunfisch in die Dose?“ oder „Stehen Männer wirklich vor allem auf blonde Frauen?“. Antwort findet man nicht in einem Labor. „Der Mensch als Aufhänger“ und „Emotion is the key“ heißen die Zauberformeln. Das Publikum muss sich identifizieren können.
Zwei Millionen Zuschauer täglich geben dem Chefredakteur Recht. Wissenschaft wird zur „Erlebnis-Reportage“. Seit 1998 läuft Galileo, und Steinkamp spricht dem Format eine eindeutige Pionierrolle zu: „Wir waren die Ersten die Wissen entstaubt haben.“ 2500 Sendungen sind seither gedreht, über 10.000 Geschichten erzählt worden. Geht einem da nicht irgendwann der Stoff aus? „Neue Probleme findet man im täglichen Leben. Ich würde zum Beispiel gerne wissen, wie eine Pfütze entsteht“, so Steinkamp. Doch auch die Zuschauer fragen eifrig, und so sind die Praktikanten schon mal den ganzen Tag damit beschäftigt Zuschauerpost auszuwerten. Damit die Themen nie langweilig werden, wird neuerdings via Cartoon die Erfindung der Zahnpasta dokumentiert und die Sitcom „Krawuttkes Nachbarn“ zeigt, wie man mit Backpulver putzen kann.
Der allerneueste Trend heißt „Dokufiction“: Bei dieser Mischung aus Dokumentation und Spielfilm werden Szenen so nachgestellt, dass der Moderator im wahrsten Sinne des Wortes ins Geschehen einsteigen kann.
Am Ende gibt Christoph Steinkamp noch Tipps für angehende Journalisten. Drei Dinge sind unabkömmlich:
1. Der unbedingte Drang Geschichten erzählen zu wollen,
2. die Faszination am Menschen und ein aufeinander Zugehen,
3. stete Neugier und das Interesse Dinge zu erkunden.
Das Ende der …schaft
von Josephina Maier
Wissenschaftsjournalismus gibt es nicht mehr. Deswegen ist Christoph Steinkamp auch nicht Ressortleiter Wissenschaft bei Pro Sieben, sondern Ressortleiter Wissen. Das ist ein himmelweiter Unterschied, wenn man ihm glauben darf. Die 16 Wissenschaftsjournalismus-Studenten, denen er am Mittwoch seine These erläutert, wirken geknickt. In den Köpfen entspinnen sich deutlich Bewerbungs-Szenarien: „Und was haben Sie studiert?“ – „Wissenschaftsjournalismus.“ – „Das gibt’s gar nicht. Sechs, setzen.“
Wissenschaft, so erfahren die Nichts-Studierenden weiter, „tradiere“ stets einen moralischen Zeigefinger und werde von Männern in staubigen Gewändern vermittelt, die selbigen hoch erhoben halten. Ganz anders Wissen: Das nämlich präsentiert das gänzlich unverstaubte Wissensch-, pardon, Wissensmagazin Galileo täglich im Vorabendprogramm. Bestimmend hierbei sei das „aus dem anglo-amerikanischen Raum“ importierte Sendeformat, erklärt Steinkamp.
Nicht nur das Sendeformat ist importiert: Auch seine eigene Sprache hat der Ressortleiter der Unverstaubtheit angepasst. Galileo läuft nämlich eigentlich gar nicht im Vorabendprogramm, sondern in der „Access Prime Time“. „Emotion is the key“, gilt dabei: Die Zuschauer sollen über Emotionen zum Wissen gelockt werden. Am besten geht das anhand von Menschenschicksalen, was Bildzeitungsredakteuren schon länger bekannt ist. Galileo nimmt „Menschen als Aufhänger“.
Die Studenten fühlen sich auch schon ein wenig aufgehängt. Sie haben am Vorabend zur Access Prime Time eine Sendung über E-Gitarren mitverfolgt. Philipp, das dreizehnjährige Menschenschicksal, hat sie dabei empfindlich gestört, als es zu jedem möglichen und unmöglichen Zeitpunkt seinen blonden Wuschelkopf durch die Bretterstapel der E-Gitarrenfabrik steckte. Christoph Steinkamp sieht das anders. Philipp ist der „Türöffner zu althergebrachtem Wissen“, findet er.
Die Zukunft dieses Althergebrachten liegt übrigens in der Fiktion. Sogar Spielfilmelemente sollen bald eingebracht werden, schwärmt der Ressortleiter, und zur Demonstration hat er einen Film mitgebracht. Darin läuft der Galileo-Moderator, der aussieht wie George Clooney, in ein Gemälde von Leonardo Da Vinci hinein, außerdem sieht man Maria Magdalenas Brust. Es geht eben darum, Wissen zu verbreiten. „Mit welchem Mittel, ist mir egal. Ich habe da keine dogmatischen Scheuklappen“, schließt Steinkamp. Wir auch nicht. Philipp finden wir trotzdem doof.