Soziales Tabloid
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Mittwoch, 30. Mai 2007
Onlinejournalismus
Seltsam, da hat die Frankfurter Rundschau wochenlang den Countdown laufen lassen. Nun ist es da, das tiefer gelegte kleinere Blatt, doch im Netz scheint das kaum jemanden zu interessieren. Tja, wird wohl nichts aus dem Stimmungsbericht aus der Blogosphäre, den ich mir vorgenommen hatte. Gibt ja auch viel wichtigere, don-sphärische Gemelagen zu diskutieren.
Aber egal, zurück zur FR, ein wenig Senf kann ich mir denn doch nicht verkneifen. Ja, natürlich gebe ich der Kioskdame meines Vertrauens recht: Praktisch ist Tabloid schon. Vor allem wenn ich an die Straßenbahn denke. Und hatte ich mal das Vorurteil, Tabloid sei durch den Verzicht auf die klassischen Bücher unsozial, so hat mich die FR vom Gegenteil überzeugt: Wunderbar, da kann man auf einen Griff den Lokalteil oder die Wirtschaft rausnehmen und quer über die Familienmitglieder am Frühstückstisch verteilen. Schöne alte Welt, da muss ich mich also gar nicht umgewöhnen. Abgesehen davon, dass man sich hinter Tabloid weniger gut verstecken kann. Bevor sich jetzt alle fragen, wie’s bei uns zum Frühstück aussieht – ich spreche nur von rein theoretischen Optionen.
Noch immer nicht dran gewöhnen will ich mich aber daran, dass bei einigen Tageszeitungen die erste Seite nicht mehr das Wichtigste bringt, sondern zur reinen Verkaufsverpackung mutiert ist. Das stört mich schon bei der taz. Obwohl die oft tolle Bilder auf dem Titel hat. Aber irgendwie bin ich da trotzdem furchtbar altmodisch: Ich will auf der ersten Seite was lesen. Und zwar mindestens so lange, wie ich für die erste Brötchenhälfte brauche. Aber Herr Vorkötter sagt, ich weiß als moderner Zeitungsleser sowieso aus dem Netz, was gestern geschehen ward. Also muss nach dieser Logik nicht mehr das Wichtigste auf die Eins, sondern eben ein Hingucker. Davon hat die FR heute zwei: Sie macht mit einer Umfrage zur Beliebtheit der G8-Matadoren mit einer großen Infografik auf (Bush ist down under) und hebt marodierende Affenweibchen über den Zeitungskopf. Na, da wurden ja alle Nachrichtenwerte durchdekliniert. Mich sprechen sie zwar nicht an, aber es sollen ja neue Zielgruppen gewonnen werden (was ich der FR sehr wünsche).
Dafür fühle ich mich innen schnell wohl. Das liegt nicht nur an der Gestaltung, die auch Thomas Wanhoff lobt, sondern mir gefällt vor allem, dass wichtige Themen mehrere Artikel mit unterschiedlichen Perspektiven spendiert bekommen. So gibt es zu den mordenden Affenweibchen ein Interview, zur Kennzeichnung der Inhaltsstoffe von Lebensmitteln ebenso, zusätzlich auch einen Kommentar, und neben den neuesten Arbeitslosenzahlen steht sowohl ein Interview wie ein Artikel über die Furcht von Arbeitsvermitteln um ihre Stellen. Und den Rest lese ich heut‘ abend.