Mehr als nur Glühbirnen
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Dienstag, 15. Juni 2010
Onlinejournalismus
Da steht er nun an der Tür zum Büro seines Chefs. In der linken Hand eine Schachtel Pralinen, in der rechten ein blauer Müllsack, im Innersten die Gewissheit, das Richtige zu tun. Das Richtige tun, das war nicht immer so. Kevin, 23 Jahre alt, etwa 1,90 groß, kahl geschorener Schädel, schmächtig, ein Strich in der Landschaft, würde man sagen, war kein Musterschüler. Nur mit Mühe und Not schloss er die Hauptschule ab.
Später begann er eine Lehre zum Elektroinstallateur in einem kleinen schwäbischen Betrieb. Auch dort lief es nicht rund für ihn. Kevin war undiszipliniert, unpünktlich und fehlte häufig. Wegen privater Probleme, wie er immer wieder sagte. Ob das stimmte, wusste niemand. Fakt ist, er verbrachte die Hälfte seines Lebens bei den Großeltern. Der Chef war gnädig. Kevin durfte bleiben.
Doch sein Leben sollte sich ändern. Kevin verliebte sich. Sie war eine fromme Adventistin, er war hin und weg. Die Erleuchtung habe er durch sie gefunden, erzählte Kevin stolz seinen Arbeitskollegen. Er ließ sich taufen. Es war das Ende seines alten Lebens, der Anfang einer neuen Existenz. Eine zweite Chance für Kevin und die Gelegenheit mit der Vergangenheit aufzuräumen.
Nun steht er da mit dem blauen Müllsack, prall gefüllt mit Glühbirnen. Glühbirnen, die Kevin während seiner Ausbildung ungeniert aus dem Lagerraum mitgehen ließ. Zögernd klopft er an die hölzerne Tür. „Komm rein, mein Junge!“, ruft ihm sein Chef zu. Demütig folgt Kevin der Stimme. Kurz darauf ist er wieder draußen. Ohne Diebesgut, ohne Job, dafür aber mit einem breiten Lächeln im Gesicht, wie sich die Chefsekretärin später erinnert.
Bartek Langer
Aufgabe: Eine Szene beschreiben, die ich nicht selbst miterlebt habe, sondern mir erzählen ließ. (Textwerkstatt 6. Semester OJ, Sommer 2010, bei F. Herrmann)