FTOJ – Frankfurter Tag des Online-Journalismus 2010
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Dienstag, 29. Juni 2010
Onlinejournalismus
„Strg – Alt – Entf? Neustart für den Journalismus?“ war das Motto des FTOJ, dem 6. Frankfurter Tag des Online-Journalismus. Journalisten, Wissenschaftler, Kommunikationsexperten und Verleger diskutierten hier, wie das Internet die Arbeit von Journalisten verändert, und wie das Internet sinnvoll für die journalistische Arbeit eingesetzt werden kann. Der FTOJ hat gefragt: „Welche Ansätze gibt es, um heute Journalismus im Netz zu machen?“
Internet als Kommunikationsmedium
Online-Journalismus sollte nicht nur journalistische Inhalte der Offline-Medien verwerten, sondern mit der Verwendung moderner Kommunikationstools selbst investigative und hochwertige Inhalte generieren. Dr. Mercedes Bunz, die derzeit Redakteurin für Technologie und Medien beim Guardian in London ist, forderte eingangs der Veranstaltung: „Ich möchte, dass endlich nicht mehr Internet, Online-Journalismus und Bildergalerien in einem Satz genannt werden, sondern Internet und investigativer Journalismus!“ Das Internet darf also nicht nur zum Distributionsmedium verkommen. Journalisten müssen die Möglichkeiten moderner Kommunikation, wie Social Media, nutzen! Mit den Worten des Referenten Dr. Stephan Baumann vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz gesagt: „Social Media verstehen – sie bleiben!“
Die Veranstalter, das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Hessische Rundfunk (HR), sind selbst als gutes Beispiel voran gegangen und haben den FTOJ per Video-Stream, Twitter und Facebook-Seite von Frankfurt ins Internet übertragen. So konnten für den FTOJ auch interessante Fragen und Anregungen aus dem Netz gesammelt und vor Ort weiter diskutiert werden.
Bürgerjournalismus
Bürger sollen Informationen und Bildmaterial an die Redaktionen liefern. Solche Aufrufe per Social Media an die Bevölkerung sind ein guter Weg, um Themen spannender zu machen und an exklusives Material zu kommen. CNN setzt genau dort mit seinem Ireport an. Mit einer App fürs Iphone kann sogar blitzschnell gefilmt und hochgeladen werden. Oder die New York Times, die mit ihrem Projekt Room For Debate (wie in diesem Beispiel) qualitative Beiträge von Lesern sammelt. Eine Expertengruppe schickt hier Fragen an die Bevölkerung, die sich dann an der Debatte beteiligen kann. Von der Redaktion ausgewählt, landen dann einige Beiträge im Anhang zu den Artikeln. Der Artikel Video reveals G20 Police aussault on man who died von Paul Lewis wäre ohne das Zutun der Internetgemeinde nie erschienen. Lewis machte seine Recherche um den G20-Gipfel bei Twitter öffentlich und gelangte so an das exklusive Videomaterial, dass die Polizeiattacke dokumentiert. Auch die Notlandung eines Airbus auf dem Hudson-River, das Erdbeben auf Haiti oder der Tot der Studentin Neda 2009 während der Proteste im Iran sind Beispiele dafür, wie Twitter für die Recherche genutzt werden kann und Inhalte bringt, die vom Online ins Offline fließen und nicht umgekehrt.
Online-Lokal-Journalismus
Social Media ist nicht nur ein Thema für die ganz Großen der Medienindustrie. Lokal- und Regionalzeitungen können ebenso von der vernetzten Gesellschaft und der riesigen verfügbaren Datenmenge im Netz profitieren. Auf dem FTOJ wurden drei regionale Projekte vorgestellt:
Hardy Prothmann (Vortrag an der Hochschule Darmstadt) stellte seine regionalen Blogs Ladenburgblog, Hirschbergblog und Heddesheimblog vor. Prothmann will wieder ordentlichen investigativen Journalismus machen. Ganz anders als die regionalen Tageblätter, die ihre Berichterstattung am Anzeigengeschäft ausrichten. Vor allem unabhängig sollen die „journalistischen Inhalte“ auf seinen Blogs sein, was ihm nach eigenen Angaben recht gut gelingt.
Die Rhein-Zeitung hat als regionale Tageszeitung Social Media bereits in die journalistische Praxis integriert. Der Chefredakteur der Rhein-Zeitung Christian Lindner, vergibt seine Volontärspositionen grundsätzlich nur an Bewerber, die in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Youtube, etc. unterwegs sind. Ein Anteil der kommenden Volontäre soll zukünftig aus dem „Bloggermilieu“ stammen. Eine journalistische Ausbildung wäre dafür nicht zwingend notwendig, betonte Christian Lindner. Es gehe ihm vor allem darum, dass sich seine Volotäre im Netz auskannten. So wird jedem Volontär ein Account bei Twitter und wer-kennt-wenn eingerichtet, um mit der Zielgruppe Kontakt zu halten, und in den Dialog treten zu können. Die Präsentation von Christian Lindner steht auf Slideshare zur Verfügung, der gesamte Vortrag auf den Seiten des HR.
Robert Basic, der seinen Blog Basic Thinking bei Ebay für fast 50.000 Euro verkaufte, will sich mit Buzzriders als lokale Anlaufstelle im Netz etablieren. Auf der Plattform sollen sich die Menschen „über das wichtigste Tagesgeschehen austauschen und informieren sowie untereinander vernetzen, Jobs suchen, Gebrauchtwaren verkaufen, Produkte und Dienstleistungen vor Ort finden oder einfach nur Spaß haben können“. Die Seite befindet sich noch in der Entwicklung. Wer „mitarbeiten“ möchte oder sich dafür interessiert, was aus dem Projekt wird, erfährt alles dazu in der Community.
Internet-Tools als Ideengeber
„Nicht abhängig von Maschinen sein, sie lenken, sie steuern!“, forderte der Soziologe und Blogger Dr. Benedikt Köhler auf dem FTOJ, sprach vom Cyborg-Journlisten und verwies auf den Wired-Artikel „The Cyborg Advantage“, der die zunehmende Technisierung und Computerisierung des Menschen thematisiert. Im Slow Media Manifest mahnt er zum verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie, der Vernetzung, dem Internet und sozialen Medien. Sogenannte Aggregatoren, mit deren Hilfe Medieninhalte gesammelt, aufbereitet und für eine Zielgruppe neu zusammengestellt werden können, sind zur Unterstützung der Recherche erlaubt, aber keine Story-Generatoren. Redakteure sollten sich also auch in der vernetzten Welt noch Zeit für die Recherche lassen. Ein tolles Beispiel für einen Aggregator ist der Relation Finder auf dbpedia. Hier können Beziehungen zwischen Begriffen hergestellt werden, die unter Umständen bei der Entwicklung einer Story hilfreich sein können. Auch die Seiten Rivva (Aggregator für News und Diskussionen überwiedgend deutschsprachiger Weblogs), Hypemachine (Musik Blog Aggregator) und Tiqqer (Aggregator für individuelles Monitoring) bieten nützliche Funktionen.
Offline- und Online-Journalismus kommen sich allmählich näher, oder wie Christian Lindner in seiner Präsentation titelte: „Print umarmt Social Media“. Wir sind gespannt, welche neuen Projekte, und hoffentlich auch wieder Erfolgsstories, der nächste Frankfurter Tag des Online-Journalismus zu bieten hat.
Noch mehr Projekte und Anregungen vom FTOJ:
Plattformen für investigativen Journalismus:
- Help Me Investigate
- ProPublica – independent, non-profit newsroom that produces investigative journalism in the public interest
- Investigative News Network
- Rebecca – dedicated to high quality journalism
Location Based Services:
Buchtipps:
- ReWork: Change the Way You Work Forever – David Heinemeier Hansson
- Payback – Frank Schirrmacher
Verschiedenes:
- Sascha Lobo für einen Tag Chefredakteur bei der Rhein-Zeitung
- Youtube.ir – Iranisches Konkurrenzangebot von Youtube
- Blogeintrag von Dr. Mercedes Bunz über Urbane Penner – „Wir sind hip, hoch qualifiziert, diffus kreativ und arm. Urbane Penner eben.“