Die Welt im „Nachrichtenraum“
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Sonntag, 19. November 2006
Onlinejournalismus
Wieder einmal ist der „modernste Newsroom des Landes“ eröffent worden: Dieses Mal ist der Springer-Verlag stolz auf ein crossmediales Großraumbüro in der 15. Etage des Springer-Hochhauses in Berlin-Kreuzberg. Am Freitag feierte man – ab dem morgigen Montag kehrt der Alltag ein. Zwei Websites (welt.de und morgenpost.de), drei Tageszeitungen (Welt, Welt kompakt, Berliner Morgenpost) und eine Wochenzeitung (Welt am Sonntag) werden dort gemeinsam produziert. Am so genannten „Chef-Balken“ (man vermeidet das Wort „Newsdesk“, nimmt das Wort „Balken“, das aus der Bild-Redaktion kommt) sitzen vier Redakteure der Welt und vier der Morgenpost sowie jeweils zwei von Welt kompakt, Welt am Sonntag, Foto und Online. Das Internet ist also nach wie vor der Juniorpartner der Print-Titel.
Mit einer Pressemitteilung und zwei schönen Seiten in der heutigen Welt am Sonntag feiert die Redaktion sich selbst. Zwei Texte (1, 2) der Sonderseiten sind auch im Web (leider ohne die schöne Grafik vom Newsroom).
Die Details: Auf 32,1 mal 12,7 Metern – also 408 Quadratmetern – sind 56 Arbeitsplätze mit 65 Flachbildschirmen untergebracht – macht 7,3 Quadratmeter pro Arbeitsplatz (zum Vergleich: die APA in Wien hat auf etwa 1600 Quadratmetern ca. 120 Arbeitsplätze, bei der neuen Tageszeitung „Österreich“ in Wien arbeiten in einem Newsroom mit 2400 Quadratmetern 180 Journalisten).
Interessant ist schon die Überschrift der Print-Ausgabe: „Zeitung, Internet, Fernsehen: Wie Deutschlands modernster Nachrichtenraum funktioniert“. Aha, denkt man da: Videos im Netz sind also neuerdings „Fernsehen“. Und: Die schöne Übersetzung „Nachrichtenraum“ des englischen Worts für „Redaktion“ hat man so auch noch nicht gelesen.
Wir lesen außerdem: „Erstmals in der Geschichte der Welt am Sonntag arbeiten hier Zeitungsjournalisten Schulter an Schulter mit den Online-Kollegen. Die alten Grenzen zwischen Zeitung und Internet verschwimmen, ein neues Bewusstsein entsteht. Früher gab es Experten für das Zeitungsmachen und Experten für das Internet. Und diese Journalisten hatten wenig miteinander zu tun. Aus Sicht der Profis war das damals eine sinnvolle Arbeitsteilung, aber die Ansprüche der Leser haben sich geändert.“
Das hört sich ja ganz vernünftig an – wäre nicht das Déjàvu-Erlebnis. Der Ex-Chefredakteur der Welt, Wolfram Weimer, dichtete im Jahr 2001 für das BDZV-Jahrbuch (S. 245): „Während die meisten Online-Zeitungen mit eigenen Stäben und Redakteuren arbeiten, hat sich die ,Welt‘ für eine integrierte Vollredaktion entschieden. Jeder Zeitungsredakteur ist Online-Redakteur und umgelehrt.“
Hoffen wir nun, dass aus Ankündigungen auch gelebter Alltag wird. Die Voraussetzungen sind 2006 ungemein günstiger als 2001.